Christian Jasper

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o.T. (Figur mit Stütze)

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Gegenüber des Durchgangs zum ersten Raum befinden sich zwei kleine, aber wie die Übrigen, gleich hohe Räume. Geradewegs gelangen wir in einen kaum 10 qm kleinen Raum. Bei meinem ersten Besuch zur Ausstellungsvorbereitung (für den Kunstverein Ebersberg) fielen mir die abgeriebenen Farbspuren der Bodenfarbe auf. Bereits von Außen sehen wir eine Holzleiste, die den abgestoßenen Boden berührt. Im Raum werden wir mit einer lebensgroßen, nahezu nackten, realistisch gestalteten, männlichen Figur konfrontiert. Ein Frotteehandtuch ist um die Lenden befestigt und bedeckt den Genitalbereich. Unter dem Handtuch steckt die Holzlatte. Sie stützt die Figur, die eine leichte Neigung nach vorn aufweist. Der Titel der plastischen Arbeit ist: „o.T. (Figur mit Stütze)“. Die Oberfläche des Körpers ist mit einem mehrschichtigen Farbauftrag verschiedener Hauttöne gefasst, die jeweils zum Teil wieder abgeschliffen wurden. Enstanden ist so eine fleckige Farboberfläche, die der des Bodens nicht unähnlich ist. Auffallend und in meiner künstlerischen Arbeit bis dato einmalig, sind die in die Augenhöhlen eingesetzten Glasaugen. Eingesetzte oder mit einem anderen Material wie der übrige Körper gearbeitete Augen haben eine lange Tradition. Wir kennen Köpfe mit eingefügten Halbedelsteinen u.a. von ägyptischer Kunst. Hans Belting hat zu der von mimetisch ausgearbeiteten Augen ausgehenden Irritation in seiner Publikation „Faces“ geschrieben: „Die Ambivalenz von Gesicht und Maske wird überall dort plötzlich sichtbar, wo das lebendige Zusammenspiel von Blick und Mimik gestört oder unterbrochen ist…“ (Hans Belting, Faces, Seite14). Eben diese Ambivalenz und auch Differenz erfahren wir in der Betrachtung als Irritation zwischen Bild und Abbild, Skulptur und Darstellung.
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Auszug aus der Eröffnungsrede zu „Warten auf den rechten Augenblick (ONO)“,
gehalten am 06. Juli 2018

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